SCHIENE regional - Bahnthemen Südwest

© 2008 by Frank-D. Paßlick, Gengenbach
 

Entgleisung eines Bahnhofs (Teil 1)

Von der Verstümmelung der Infrastruktur

 

Entgleisung (Teil 2) "Bahnsteigzugang"

 

Gleisrückbau gab es in erheblichem Umfang schon seit dem Ende des 1. Weltkrieges. War das "Netz" bis zu diesem Zeitpunkt kontinuierlich gewachsen und immer engmaschiger gewoben worden, so bedienten sich die Sieger beider Weltkriege großzügig an der Eisenbahn-Infrastruktur (und - nebenbei bemerkt - auch an Fahrzeugen). Bedeutende Auswirkungen haben diese "Reparationsleistungen" bis in die heutige Zeit, man denke nur an das fehlende zweite Gleis auf weiten Teilen der Gäu-Bahn zwischen (Stuttgart -) Horb und Tuttlingen.

Hier soll es aber nicht um den Abbau in großem Stil oder um die Stilllegung ganzer Strecken gehen, sondern eher um den Rückbau der Gleisanlagen im Bahnhofsbereich. Und hier soll dargestellt werden, wie eine Aktiengesellschaft mit ihrem eigentlichen "Kapital", der Schieneninfrastruktur, umgeht. Den Eigentümer der Gesellschhaft, die Bundesrepublik Deutschland, scheint der zweifelhafte Umgang mit dem "geschenkten" Netz nicht zu stören.

Als Beispiel soll die vollkommen unspektakuläre, ja sogar nebensächliche Verstümmelung eines Kleinstadtbahnhofs schrittweise erzählt und kommentiert werden.

 

Gleisrückbau in Gengenbach - Ursachen und Folgen

 

Gengenbach ist ein romantisches Städtchen im Kinzigtal. Von Offenburg kommend ist Gengenbach der erste Bahnhof an der berühmten Schwarzwaldbahn. Der Reisende sieht, wenn er Gengenbach auf seiner Fahrt in den Schwarzwald oder an den Bodensee erreicht hat, linker Hand die wirtschaftlichen und kulturellen Standbeine der ehemaligen Reichsstadt: Zunächst den (bis zur Kündigung durch Railion zum 31.08.2004 in erheblichem Umfang bahnverladenden) Möbelhersteller HUKLA. Kurz darauf passiert der Zug das mächtige ehemalige Bahnhofshotel aus dem 19. Jht., jetzt beherbergt es das Mutterhaus der Franziskanerinnen, und nach verlassen des Bahnhofs ermöglicht der Torbogen des mächtigen Kinzigtors einen kurzen Einblick in die mittelalterliche Innenstadt. Gleich darauf ist er wieder von der herrlichen Landschaft, den Weinbergen, den Wäldern und der Kinzig umgeben. Verständlich, dass der Fremdenverkehr für Gengenbach eine wesentliche Rolle spielt. Gar mancher Sonderzug hatte zu Bundesbahn-Zeiten Gengenbach als Zielort.

Aber der Umbau vom Bahnhof zum Haltepunkt steht bevor. In kleinen Schritten wird er konsequent verfolgt. In den Achzigerjahren fiel der Anschluss zum Sägewerk fort, zwei Weichen zur Anbindung des Freiladegleises entfielen und das beidseitig angeschlossene Gütergleis 4 wurde zum Stumpfgleis. Die Anschlussgleise zur HUKLA wurden in den Neunzigerjahren umgestaltet, das Kopframpengleis am Güterschuppen und ein Ausziehgleis fielen weg, zwei kurze Abstellgleise wurden allerdings neu geschaffen.

Köf, HUKLA-Container und neue Weiche
Im Dezember 2003 neue Weichen für den HUKLA-Gleisanschluss. Die Köf rangiert noch jede Menge blauer Container. Am 31.08.2004 sind die Weichen eingebaut und die Anschlussbedienung durch Railion gekündigt.

Besonders bemerkenswert ist der Einbau von drei neuen Weichen im Dezember 2003. In den Güterbahnhof und den Zufahrtbereich des Anschlussgleises der Firma HUKLA wurde neun Monate vor der Kündigung der Anschlussbedienung nochmals investiert. Seit September 2004 sind die vielen blauen Container und ihre Tragwagen, die das Bild viele Jahr lang geprägt hatten, ebenso verschwunden, wie die V60 (BR 364), die im Mai 2004 als Ersatz für eine Köf (BR 335) nach Gengenbach kam.

Auf der anderen Seite des Bahnhofs werden andere Ziele angesteuert. Die Tafel Lf 1 '20' sorgt für Einfahrt der in Gengenbach anhaltenden Reisezüge in Kriechgeschwindigkeit.

Die ersten beiden Fotos zeigen die Signale in der Einfahrt des Bahnhofs Gengenbach in Fahrtrichtung Singen. Links das Signal A801 mit dem Signalbild Hp1 Zs3 '8', die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h ist bei der Einfahrt in Gleis 3 gesetzt. Nach 400m folgt die Ankündigung der Langsamfahrstelle Lf 1 mit vmax = 20 km/h.

Einfahrt Bahnhof Gengenbach La 20 km/h
Die marode Weiche 831

Das dritte Foto wurde unmittelbar vor der Fahrt über die marode Weiche 821 aufgenommen. Der Zug hat bereits vom Durchfahrgleis 2 (links) über eine Weiche, die im Abzweig mit 80 km/h befahrbar ist (siehe Signalisierung am Einfahrtsignal oben) auf Gleis 3 gewechselt. Gleis 3 verzweigt mit Weiche 821 weiter nach Gleis 4 und Anschlüssen zum Freiladegleis, der Malzfabrik und zum ehemaligen Anschluss des Sägewerks. Unmittelbar hinter der Weiche 821 befindet sich im Abstand von wenigen Metern die Tafel Lf 1 "4" und eine weitere Anfangsscheibe Lf 2. Die La mit 40 km/h für Gleis 3 wird mit mangelhafter Gleislage begründet.

Wegen maroder Schwellen nicht mehr befahrbar?  

Weg müssen sie, die Gleise. Die Stilllegungsprämie muss mitgenommen werden. Aber dazu wird eine stichhaltige Begründung benötigt. Zum Glück halten Holzschwellen nicht ewig. Und tatsächlich liegen unter der Weiche 821 (siehe Foto) acht marode Schwellen. Eine "normale" Reaktion auf Mängel im Gleis wäre deren Beseitigung. Dieser vorstehende Satz hat gleichermaßen Gültigkeit für die "alte" und die "neue" Bahn, allerdings bezieht sich das Wörtchen "deren" im ersten Fall auf die Mängel, im zweiten auf die Gleise. Die Weiche ist noch gut, Baujahr 1984, aber die Schwellen austauschen? Das Ding ist abgeschrieben, also kommt es weg! Und damit kommt man auch nicht mehr auf Gleis 3 und 4, auf das Freiladegleis und zwei längst vergessene Gleise in der "Pampa" (auf denen immer wieder einmal Containerwagen abgestellt waren; siehe das Gleis am rechten Bildrand des Fotos oben ).

 

Gleisrückbau - der Vollzug

 

Große Einschnitte in die Gleis- infrastruktur wurden im vierten Quartal 2004 angegangen. Gleis 3 und 4 werden "nicht mehr benötigt". Nach einer verpatzten Aktion im Oktober war es am 15.12.2004 so weit. Nach dem letzten Halt der Ortenau-S-Bahn 82723 auf Gleis 3 wurde dieses um 14.18 Uhr für den Zugverkehr gesperrt - endgültig!
Eine Minute später stand die Sh2- Wärterhaltscheibe im Gleis, nach weitern drei Minuten senkte sich der Prellbock, am Haken eines Rad-Schiene-Baggers hängend, auf das Gleis. Es wird in einem ersten Schritt weiterhin für Rangierfahrten befahrbar bleiben. Ein Abbau sei zu teuer, außerdem muss die Zeit erst "reif" werden für den Verkauf des Geländes an die Stadt, die dort Parkplätze anlegen könnte. Die lange Reihe der häufig auf Gleis 4 abgestellten Leerwagen, die im dezimierten Rangier- (jetzt Güter-) bahnhof Offenburg keinen Platz mehr finden, können sicherlich auch andernorts abgestellt werden. Auch die immer wieder einmal stattfindenen Überholungen oder der Rückzug von Rottenfahrzeugen von der Strecke u.ä. ist leider nicht mehr so einfach möglich. Die Folgen sind Verspätungen, verpasste Anschlüsse usw.

 

  

Überholung OSB durch IC und umgekehrt ...
 

... Dm nach Immendingen wird durch OSB überholt
 

und "ganz normale" betriebliche Nutzung von Gleis 3 und 4

Aber die für den Reiseverkehr entfallene Nutzungsmöglichkeit von Gleis 3 und die sich daraus ergebenden betrieblichen Einschränkungen sind nicht das Hauptproblem der kurzsichtigen Verstümmelungsmaßnahme. Gravierende Probleme ergeben sich durch die als Folge neu organisierte Regelung des Bahnsteigzugangs. Lesen Sie weiter ...

Entgleisung (Teil 2) "Bahnsteigzugang"

 

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